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Religion und Politik im Konflikt:
Die Auseinandersetzung um das Kirchenasyl
Historische Enwicklungslinien - Aktuelle Situation - Internationaler Vergleich
Sie kampieren auf Matratzen und Schlafsäcken in der Kirche, nächtigen in der Sakristei oder wohnen im Keller eines Pfarr- oder Gemeindehauses: Menschen, die im sogenannten "Kirchenasyl" leben. Darunter versteht man heutzutage, daß sich Ausländer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in kirchliche Gebäude flüchten, um zu verhindern, daß staatliche Behörden sie in ihre Heimat abschieben.

Zu dieser Form von Kirchenasyl ist es in den zurückliegenden Jahrzehnten immer häufiger gekommen. Christliche Gemeinden verschiedener Konfessionen nehmen die Ausländer aus humanitären Erwägungen heraus als Gäste bei sich auf. In der Regel schätzen die Akteure in Kirche und Staat das Schicksal der Menschen im Kirchenasyl unterschiedlich ein: Umstritten ist meist, ob sie gefahrlos in ihre Heimat zurückkehren können, oder ob ihnen dort politische Verfolgung, Folter oder Todesstrafe drohen.

Allein in Deutschland leben jährlich zwischen 100 und 400 abgelehnte Asylbewerber im Kirchenasyl. Europaweit waren es ab 1980 - also seit der Renaissance von religiösem Asyl - sogar um die 10.000 Flüchtlinge, die Unterschlupf in sakralen Gebäuden gesucht haben.

Wichtigstes Vorbild für die Kirchenasylbewegung in Europa sind - neben dem außereuropäischen Vorbild USA - die Niederlande. Die dortigen Kirchengemeinden zählten mit zu den ersten, die Flüchtlinge bei sich aufnahmen. Außerdem bemühten sie sich um die Vernetzung von Gleichgesinnten aus ganz Europa.

Die Kirchenasylbewegung im deutschsprachigen Raum zeichnet sich durch kontinuierliche Gewährung von Schutz in zahlreichen Einzelfällen aus. Zudem hat sie in den betreffenden Ländern zu einer besonders ausgeprägten innerkirchlichen wie öffentlichen Diskussion über die Legitimität modernen Sakralschutzes geführt. Außer in der Bundesrepublik Deutschland existiert Kirchenasyl vor allem in der Schweiz und - in zahlenmäßig geringerem Umfang - in Österreich.

Ebenso führt in Großbritannien die zunehmend restriktive Auslegung des Ausländerrechts regelmäßig zur Gewährung von Kirchenasyl. Innerhalb Skandinaviens besitzt Kirchenasyl vor allem in Norwegen einen hohen Stellenwert: 1993 lebten dort gleichzeitig 700 Kosovoalbaner in 140 kirchlichen Gebäuden im Asyl. Auch in Schweden und Dänemark ist es wiederholt zu Sakralschutz gekommen.

In Frankreich, Belgien, Italien und Spanien existiert Kirchenasyl ebenfalls. International für Aufsehen sorgten großangelegte Kirchenbesetzungen wie 1996 in Paris oder Anfang des Jahres 2001 in Barcelona und anderen spanischen Städten, an denen sich teils mehrere hundert Ausländer pro Kirche beteiligten. Kirchenasyl dient in diesen Ländern häufig als Protestaktion gegen die herrschende Ausländerpolitik oder zur Abwehr von Obdachlosigkeit von Flüchtlingen. In Südosteuropa, in den Wirren der Konflikte in Folge des Zerfalls Jugoslawiens, kam es in den neunziger Jahren vereinzelt dazu, daß sich Menschen in sakralen Gebäuden in Sicherheit brachten.

Insgesamt zeigt die Erfahrung mit dem modernen Kirchenasyl, daß die Kirchen auch in den säkularisierten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts noch Orte des Schutzes verkörpern. Flüchtlinge leben manchmal mehrere Monate oder sogar Jahre unbehelligt im Kirchenasyl. Staatliche Organe scheuen sich häufig davor, sie mit Polizeigewalt aus Gotteshäusern herauszuholen, selbst wenn dies nach dem Gesetz in den meisten Fällen zulässig wäre.

Schließlich besitzt sakraler Schutz - im Gegensatz zu Antike und Mittelalter, als er fester Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung war - heute keinen anerkannten Rechtsstatus mehr. Die Thematik Kirchenasyl sorgt deshalb in regelmäßigen Abständen unter den Akteuren in Kirche und Staat sowie in der Öffentlichkeit für heftige und kontroverse Diskussionen über seine Rechtmäßigkeit im souveränen demokratischen Rechtsstaat.

Der Vorwurf der Kritiker lautet: Mit dem Kirchenasyl nähmen sich die Religionsgemeinschaften Sonderrechte heraus, die ihnen heute nicht mehr zustehen; sie gefährdeten damit den Rechtsstaat. Befürworter verweisen dagegen darauf, es handele sich beim Kirchenasyl um einen Konflikt zwischen Recht und Gerechtigkeit, den eine gefestigte Demokratie aushalten kann und muß. Außerdem stehe die Gewährung von Kirchenasyl im Einklang mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit.

Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat um das moderne Kirchenasyl wurde jetzt erstmals umfassend von dem Politologen Matthias Morgenstern untersucht. Seine wissenschaftliche Studie, die an der Universität Augsburg (Deutschland), Lehrstuhl Professor Theo Stammen, in vierjähriger Forschungsarbeit entstanden ist, beinhaltet eine Gesamtschau über das moderne Kirchenasyl seit seinem Entstehen Anfang der achtziger Jahre bis heute. Dargestellt werden - am Beispiel der Bundesrepublik - sowohl der praktische Ablauf, die konkreten Konflikte und die öffentliche Kontroverse als auch die daraus resultierenden politiktheoretischen und verfassungsrechtlichen Problemlagen.

Die Untersuchung geht auch ausführlich auf die historischen und überregionalen Perspektiven der Thematik ein: zum einen durch den Rückgriff auf die geschichtlichen Entwicklungslinien; zum anderen durch den Vergleich mit entsprechenden Ereignissen in West- und Osteuropa sowie in Nordamerika. Die Situation bei den deutschsprachigen Nachbarn Österreich und Schweiz ist dabei besonderes detailliert dargestellt. Im Rahmen des internationalen Vergleichs wird ferner der Einfluß des Verhältnisses von Kirche und Staat auf die staatliche Reaktion gegenüber dem Kirchenasyl untersucht.

Die Buchausgabe der Studie richtet sich sowohl an Wissenschaftler als auch an alle anderen interessierten Leser, insbesondere an diejenigen, die in Staat, Kirche oder Kirchenasylinitiativen in der Praxis mit dem Thema Kirchenasyl konfrontiert sind. Neben seiner wissenschaftlichen Fundierung zeichnet sich das Werk durch eine allgemeinverständliche Sprache und eine sehr anschauliche Darstellung aus. Modernes Kirchenasyl wird in all seinen wesentlichen Aspekten dokumentiert und analysiert.
Alle Informationen zum Kirchenasyl auf dieser Homepage
Matthias Morgenstern: Kirchenasyl
Kirchenasyl in der Bundesrepublik Deutschland
Historische Entwicklung - Aktuelle Situation - Internationaler Vergleich.
Buchreihe "Politik und Religion"
Westdeutscher Verlag (Verlag für Sozialwissenschaften)
Wiesbaden 2003. - ISBN 978-3-531-14067-4
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